DAS DILEMMA
Odysseus und seine Mitstreiter mussten, so die Sage, auf ihrem Weg in die Heimat eine Meeresenge passieren. Auf der einen Seite lauerte Skylla, ein grässliches Meeresungeheuer, das alle, die ihm zu nahekamen, verschlang. Auf der anderen Seite war Charybdis, ein gestaltloses Scheusal, das ein paar Mal am Tag das Meerwasser und mit ihm alles, was sich darin befand, einsog und es anschließend wieder ausspuckte.
Dem Rat der Göttin Kirke folgend, meidet Odysseus Charybdis, gerät dabei aber unweigerlich so nahe an Skylla heran, dass sie sechs seiner Gefährten tötet und frisst. Odysseus und die anderen überleben. Und die Moral? Manchmal kommt man nicht ungeschoren davon, und man muss versuchen, das kleinere Übel zu wählen; man entkommt im Leben manchmal leider doch nicht allen Heimsuchungen.
Das ist vermutlich auch eine Sorge, die viele Investoren derzeit umtreibt. Sie fragen
sich: Lässt sich die Hochinflation in die Knie zwingen, ohne dass die Zentralbanken
eine Rezession herbeiführen? Ist es vielleicht doch möglich, Hochinflation und
gleichzeitig Wirtschaftswachstum zu haben?
Gerade in Zeiten der Hochinflation wird es umso wichtiger für viele Menschen, dass die Konjunktur weiterläuft, dass Betriebe weiter produzieren, dass Arbeitsplätze und Einkommen erhalten bleiben. Die hartnäckige Hochinflation, so erfahren immer mehr Menschen am eigenen Leib, ist aber nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein schmerzliches soziales und moralisches Problem für die Volkswirtschaften.
Um die einleitend genannten Fragen zu beantworten, muss man sich zunächst
über die besondere Wirkung der Inflation Klarheit verschaffen. Inflation – also das
fortgesetzte Ansteigen der Güterpreise auf breiter Front – ist ein höchst kompliziertes
Phänomen, das in all seinen Ausprägungen nicht immer bekannt und voll verstanden wird.
Denkt man über Inflation nach, so steht am Anfang die folgende Einsicht: Inflation wirkt auf das Handeln und Wirtschaften der Menschen ein, indem sie die Preissignale verfälscht, die Menschen über die wahren Knappheitsverhältnisse täuscht, sie zu irrtümlichen Handlungen verleitet.
Erstes Beispiel: Inflation treibt die Güterpreise auf breiter Front in die Höhe. Wenn
die Preise der Güter, die ein Unternehmer erzeugt, in die Höhe klettern, wertet er
das üblicherweise als ein Signal, dass seine Güter ganz offensichtlich stark nachgefragt
werden, und dass es lohnend für ihn ist, die Produktion seiner Erzeugnisse
auszuweiten. Doch wenn es Inflation gibt, macht nicht nur er diese Erfahrung und
reagiert in dieser Weise, allen anderen Unternehmern geht es genauso.
Das wirkt meist das „belebend“ auf die Konjunktur: Die Produktion steigt, die Beschäftigung nimmt zu, die Gewinne sprudeln und die Löhne ziehen an. Doch das ist nur vorübergehend so, wie das zweite Beispiel verdeutlicht.
Zweites Beispiel: Nur wenn die Inflation überraschend kommt, erzeugt sie die voranstehend beschriebene „belebende Wirkung“. Nehmen wir an, die Menschen
haben ihre Lohn-, Miet- und Kreditverträge abgeschlossen mit der Erwartung, dass
die künftige Inflation bei, sagen wir, 2 Prozent pro Jahr liegt.
Tritt genau das ein, werden also die Erwartungen erfüllt, wird keiner der Vertragsparteien besser oder schlechter gestellt. Wenn die Inflation jedoch unerwartet höher ausfällt, sagen wir, 5 Prozent pro Jahr erreicht, gibt es Gewinner und Verlierer. Beispielsweise gewinnt
der Schuldner auf Kosten der Gläubiger. Er kann seine Schulden mit einem Geld
zurückzahlen, das weniger Kaufkraft hat als das Geld, das er sich geliehen hat.
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Wenn die Menschen von der Inflation überrascht wurden, dann werden sie allerdings
daraus ihre Schlüsse ziehen. Gelangen sie zur Auffassung, dass die überraschend
hohe Inflation eine einmalige Sache war, die sich nicht wiederholt, dass
also die Inflation wieder zur bisher erwarteten Höhe zurückkehrt, wird es keine
grundlegende Erwartungsänderung geben, und folglich bleiben weitergehende
Preiseffekte bei den Gütern aus.
Das Bild ändert sich jedoch, wenn die Menschen davon ausgehen, dass die Inflation hoch bleibt, beziehungsweise dass Regierung und Zentralbank die Wirtschaft mit inflationären Effekten in Gang halten wollen.
Erwarten die Menschen, dass die Inflation fortan höher ausfällt als bislang von der
Zentralbank versprochen, passen sie ihre Verträge an, legen ihnen eine höhere
Inflation zugrunde – beispielsweise eine Inflation von 5 Prozent anstatt bisher 2
Prozent.
Haben sich die Inflationserwartungen nach oben angepasst, und entspricht
sie der tatsächlichen künftigen Inflation, verliert die Inflation von 5 Prozent
ihre Anschubwirkung. Der bisherige Konjunkturaufschwung, der durch die „Überraschungsinflation“ angetrieben wurde, ebbt ab, kippt womöglich in eine Rezession
um. Die erhöhte Inflation hat keine wirtschaftsbelebende Wirkung mehr.
Wollen aber Regierung und Zentralbank die Wirtschaft (künstlich) in Gang halten,
müssen sie erneut zu „Überraschungsinflation“ greifen – also dafür sorgen, dass
die tatsächliche Inflation höher ausfällt als die erwartete Inflation. Doch die Menschen
werden auf den erneuten „Inflationsbetrug“ wieder reagieren, indem sie
ihrerseits ihre Inflationserwartungen in die Höhe schrauben und entsprechend ihre
Verträge neu aushandeln.
Schreiten Regierung und Zentralbank auf diesem Wege fort, wird die Überraschungsinflation immer höher ausfallen müssen, damit die
politisch gewollten Belebungswirkungen für die Konjunktur aufrechterhalten werden.
Auf diese Weise wird jedoch der Weg in die Hyperinflation geebnet.
POLITISCHE FOLGEN DER INFLATION
Steigende Inflation ist aus vielen Gründen problematisch für eine Volkswirtschaft.
So erschwert sie die Wirtschaftsrechnung mit Geld. Inflation bedeutet nämlich
nicht nur steigende Güterpreise, sondern Inflation verzerrt vor allem auch das Verhältnis
der Güterpreise zueinander. Das führt zu Fehlkalkulationen und Fehlinvestitionen,
durch die Firmen ihr knappes Kapital sprichwörtlich in den Sand setzen.
Hinzu kommen praktische, zusätzliche Kosten. Bei steigender, hoher Inflation müssen
Preiskalkulationen häufiger durchgeführt und Preislisten auf den neusten
Stand gebracht werden. Es muss auch mehr Aufwand betrieben werden, um die
Kassenhaltung zu optimieren: Umschichtungen von Geld in andere Vermögensbestände
sind erforderlich, um die Kosten der Geldentwertung zu verringern.
Und natürlich sind die sozialen und politischen Kosten der Inflation beträchtlich.
Menschen mit unteren und mittleren Einkommen leiden in der Regel besonders
stark unter der Inflation. Ihre Lohn- und Einkommenserhöhungen hinken hinter
den Preissteigerungen hinterher. Ersparnisse verlieren an Kaufkraft.
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Die Menschen werden ärmer. Sie können ihren bisherigen Konsum nicht mehr finanzieren beziehungsweise müssen ihr Erspartes angreifen. Eine fortgesetzte Hochinflation bringt
vielen Menschen in Existenznöte. Politiker ergreifen meist die sich ihnen bietende
Chance, als vermeintliche „Retter“ in Erscheinung zu treten und Hilfszahlungen zu
verabreichen (Wohngeld, Heizkostenzuschüsse etc.). Die Menschen werden so zusehends
abhängig gemacht von staatlichen Zuwendungen.
Doch wie finanzieren die Regierungen die zusätzlichen Auszahlungen? Vorzugsweise
durch Kredite: Neue Staatsanleihen werden ausgegeben, von Geschäftsbanken
und/oder Zentralbanken gekauft und mit neu geschaffenem Geld bezahlt.
Zwar verfügt der Staat dadurch über die gewünschten Auszahlungsbeträge, aber
die damit verbundene Ausweitung der Geldmenge verschärft das Inflationsproblem.
Eine sich selbst verstärkende Spirale entsteht: steigender Bedarf für Unterstützungszahlungen, steigende Staatsverschuldung, steigende Geldmenge, steigende
Inflation, und so weiter.
Das lässt bereits erahnen: Je mehr Menschen abhängig sind von staatlichen Zuwendungen, die mit Schulden finanziert werden, desto schwieriger wird es, die Inflation in den Griff zu bekommen, sie abzustellen.
Es wird vor allem auch immer schwieriger (teurer), die Inflation zu beenden, je
länger sie angedauert hat. Das liegt daran, dass die Produktion und Beschäftigung
in der gesamten Volkswirtschaft von der Inflation beziehungsweise steigenden Inflation
maßgeblich (mit-)geprägt wird. Beispielsweise entstehen Branchen, weil die
mit neu geschaffenem Geld verursachte Inflation überhaupt erst die Nachfrage
nach deren Gütern möglich macht.
Andere Wirtschaftszweige hingegen fallen zurück, weil Kapital zusehends in die Sektoren investiert wird, die für die Investoren aufgrund der Inflation renditestärker erscheinen. Inflation drückt so gesehen der Struktur der Erzeugung und der Arbeitsplätze ihren verzerrenden Stempel auf.
DIE INFLATIONSKRISEN
Setzt die Zentralbank die Zinsen herauf, und bremst sie dadurch das Kredit- und
Geldmengenwachstum ab, wird zwar früher oder später auch die Inflation absinken.
Doch dieser Prozess ist mit Kosten in Form von Produktions- und Beschäftigungsverlusten
verbunden, die umso größer ausfallen, je länger und je höher die Inflation angedauert hat.
Im heutigen Fiatgeldsystem kommt noch etwas erschwerend hinzu: Wird eine erhöhte Inflation, an die die Marktakteure sich bereits „gewöhnt“ haben, nachfolgend plötzlich wieder verringert, werden viele Kreditnehmer ins Straucheln kommen. Denn ihre Kalkulationen gehen nicht mehr auf. Beispielsweise zeigt sich, dass die erhofften Umsätze und Gewinne nicht eintreten, und Kredite können nicht vollumfänglich bedient werden.
Banken erleiden Verluste, die sie vorsichtiger werden lassen bei der Neukreditvergabe.
Nimmt nachfolgend der Zustrom von neuen Krediten und neuem Geld in die Volkswirtschaft ab, ist es vorbei mit dem Konjunkturaufschwung. Ausbleibendes Wirtschaftswachstum ist für das kreditgetriebene Fiatgeldsystem besonders problematisch – wie aktuell zu beobachten. Viele Regierungen in der westlichen Welt schwören ihre Volkswirtschaften auf einen Kurs der Wachstumsverlangsamung, wenn nicht gar der Schrumpfung ein.
Insbesondere die politisch bewirkte Verteuerung der Energie verringert die realen Einkommen der Konsumenten und schmälert die Kapitalrenditen der Firmen. Das setzt – zusätzlich zu den Effekten der Hochinflation – die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit herab.
Die großen Volkswirtschaften des Westens befinden sich aktuell in einer besonders
schwierigen Situation. Wenn die Zentralbanken die Zinsen nicht im erforderlichen
Maße anziehen, weil sie befürchten, die Volkswirtschaften rutschen in eine
schwere Finanz- und Wirtschaftskrise, dann ist die Hochinflation gekommen, um
zu bleiben. Und erwarten die Menschen, dass die Zentralbanken es vorziehen, die
Konjunkturen zu stützen, auch wenn das die Inflation hoch bleiben lässt, kann die
Inflation sogar aus dem Ruder laufen, in Hyperinflation münden.
Machen die Zentralbanken aber ernst und versuchen sie, die von ihnen verursachte Güterpreisinflation mit weiteren Zinssteigerungen zu verringern, wird der Schuldenturm zu Babel sehr wahrscheinlich kollabieren, und eine Rezession-Depression kommt in Gang,
die vermutlich alles bisher Dagewesene übersteigt.
INFLATION UND REZESSION
Die Zentralbanken werden daher vermutlich versuchen, einen Mittelweg zu beschreiten:
Die Zinsen noch etwas weiter anheben, aber nicht so stark, dass Schuldner
der Reihe nach umfallen; zinspolitisch den Eindruck erwecken, man werde die
Inflation eindämmen, sie aber tatsächlich nicht wieder auf die 2-Prozentmarke absenken.
Doch es wäre ein geradezu bemerkenswerter Zufall, sollte ein solcher inflationspolitischer
Drahtseilakt gelingen.
Der Mix aus Hochinflation und Hochverschuldung ist geradezu zu toxisch für ein hochverschuldetes Fiatgeldsystem, führt zu Pest und Cholera zugleich: Die weltweite Verschuldung ist so hoch wie nie. Mitte 2023 belief sie sich, so errechnet das International Institute of Finance (IIF), auf 300 Billionen US-Dollar beziehungsweise 350 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Diese Verschuldung hat sich in den letzten zwanzig Jahren vor allem im Zuge fallender Nominalzinsen vollzogen, die vielerorts in inflationsbereinigter
Rechnung sogar negativ waren.
Eine Abkehr vom Trend fallender Zinsen und vom Trend kräftig wachsender Kredit- und
Geldmengen hat daher das Potential, das hochverschuldete Fiatgeldsystem
sprichwörtlich aus den Angeln zu heben. Sollte es zu Konjunktureinbruch, steigender
Arbeitslosigkeit, Problemen im Bankensektor etc. kommen, wird es wohl rasch
einen geldpolitischen Kurswechsel geben:
Die Zentralbanken werden auf Konjunkturanschub setzen, das Ziel, die Inflation abzusenken, gerät ins Hintertreffen. In der „Not der Stunde“ ist absehbar – gerade in den sogenannten „Wohlfahrtsstaaten” –, dass die Weiterführung der Hochinflation als die Politik des vergleichbar kleinsten Übels angesehen wird; die Verlockung, eskalierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen mit immer mehr neu geschaffenem Geld zu entkommen versuchen, ist hier groß, ist schlichtweg unwiderstehlich.
Investoren haben folglich gute Gründe, mit einer fortgesetzten Hochinflation –
auch wenn es zwischenzeitliche Abschwächungen geben sollte – in den kommenden
Jahren zu rechnen. Dieses Szenario wird umso wahrscheinlicher, je stärker die
Volkswirtschaften wirtschaftspolitisch auf eine Verlangsamung des Wachstums
setzen oder gar auf Schrumpfkurs gehen, wie es die „grüne Politik“, die „Great
Reset“-Befürworter, im Sinn haben.
Ohne positives, ausreichendes Wirtschaftswachstum fliegt aber das Fiatgeldsystem sprichwörtlich auf, es wird offenbar, dass der Schuldendienst für die vergebenen Kredite nicht mehr bezahlt werden kann.
Die Volkswirtschaften stehen dann erst recht vor der Entscheidung: Geldwert vollends
ruinieren, um die Schulden zu bezahlen – oder Konkurs anmelden, also Schulden
nicht zurückzahlen. Es ist zu befürchten, dass spätestens dann die Entscheidung
für Inflation und gegen Schuldenkonkurs ausfallen wird. Um im Bild der
Odysseus Odyssee zu bleiben: Die westlichen Volkswirtschaften werden Skylla
(Hochinflation) als auch Charybdis (Rezession) wohl nicht entkommen.
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