Auch wenn Künstliche Intelligenz und Rüstung gerade die dominanten Branchen in der Börsenwelt sind, bleibt der Halbleiter-Sektor die wichtigste grundlegende Technologie für aktuelle sowie zukunftsträchtige Anwendungen. Deshalb sprechen wir mit Clemens Otte, Bereichsleiter für Mikroelektronik und Kabel vom deutschen Interessenverband ZVEI, über die aktuelle Situation der Halbleiterindustrie in Deutschland und Europa.
Der erste Teil des Interviews erschien vor zwei Wochen (2.6.) auf unserem WhatsApp-Kanal. Dort erfahrt ihr auch, wo Europas Stärken im Halbleiterbereich liegen– unbedingt abonnieren.
Viele Fragen, Otte hat die Antwort
Denn zentrale Säulen der deutschen Halbleiter-Industrie wie Infineon, Aixtron oder Elmos Semiconductor sind für Anleger interessante und vielversprechende Börsenwerte. Doch wie steht es um den Sektor generell? Wie verlässlich können wir in Zukunft auf verschiedenste Halbleiter-Technologien setzen, wo bedarf es Anpassungen und Verhandlungen?
Infineon Aktie Chart
Diese Faktoren bestimmen den Standort
Welchen drei konkreten Herausforderungen muss sich die deutsche Halbleiterindustrie mittelfristig stellen, um wettbewerbsfähig zu bleiben?
Clemens Otte (CO): Die Herausforderungen unserer Unternehmen hängen letztlich vor allen Dingen mit Standortbedingungen zusammen. Dazu gehören der immer wieder angemahnte Bürokratieabbau, die Unternehmensbesteuerungen oder die hohen Energiekosten, die für eine energieintensive Branche wie unsere auf jeden Fall eine erhebliche Belastung darstellen.
Aber natürlich betrifft das auch Themen wie den Fachkräftemangel und das Talentmanagement. Der Aufbau und Betrieb moderner Halbleiterstandorte erfordert hochqualifiziertes Personal – von der Forschung bis zur Fertigung. Hier muss massiv in Bildung, Weiterbildung und internationale Fachkräftezuwanderung investiert werden.
Wenn wir uns die geopolitische Lage ansehen, müssen wir natürlich auch daran denken, unsere Fertigungskapazitäten zu vergrößern, um die Resilienz unserer Lieferketten zu stärken. Wir wollen hier nicht einseitig in eine Richtung zeigen, aber unsere Mitgliedsunternehmen haben insbesondere in Sachen Standortbedingungen erhebliche Nachteile, die die Politik verbessern muss. Den Wettbewerb können und werden unsere Unternehmen annehmen.
Es gilt Antworten auf die starke Konkurrenz zu finden
Welche langfristigen strategischen Themen sind für die Branche besonders dringlich, bspw. hinsichtlich Materialbeschaffung?
CO: Der globale Wettbewerb um Industrieansiedlungen läuft auf Hochtouren und andere Länder haben hier riesige Förderprogramme aufgelegt. Unternehmen werden immer auf diese Förderprogramme zurückgreifen. Dazu muss man wissen, dass die Kosten für den Bau einer Halbleiterfabrik um ein Vielfaches höher liegen als etwa bei der Gigafabrik in Grünheide. Diese Faktoren beeinflussen natürlich die Standortentscheidung der Unternehmen.
Sprich: Sie werden immer den für sie günstigsten Standort wählen. Aber – und das sollten wir uns hierbei verdeutlichen – wir sprechen hier auch von einem Wachstumsmarkt, der rasant wächst. Wenn wir nun aber den Anschluss verlieren, geraten wir in Abhängigkeiten, die uns teuer zu stehen kommen könnten.
Unsere gesamte Volkswirtschaft braucht resiliente Lieferketten. Dazu muss die Bundesregierung und die EU mit einer flankierenden Strategie ihren Teil beitragen. Es geht hier auch um den sicheren Zugang zu Rohstoffen. Den benötigen aber nicht nur die Halbleiterhersteller, sondern auch das ganze Ökosystem. Dazu sind letztlich auch gute globale Handelsabkommen erforderlich.
Außerdem muss sichergestellt sein, dass bestimmte Mikroelektronikkomponenten aus vertrauenswürdigen Quellen stammen. Ein Beispiel dazu: Die Leiterplatten etwa, auf denen Halbleiter verbaut werden, kommen heute zu einem Großteil aus Asien. Wenn diese aber in Militärtechnologie oder anderer kritischer Infrastruktur verbaut werden, stellt sich die Frage, ob man sicher sein kann, dass sie nicht mit geheimen Spionage- oder Abschaltvorrichtungen ausgestattet sind.
Hohe Renditen garantiert
Wie beurteilt das Unternehmen das derzeitige politische Umfeld für die Branche?
CO: Die neue Bundesregierung hat viele Probleme erkannt, etwa in Sachen Bürokratieabbau oder Energiepreise. Allerdings wünschen wir uns als Verband auch ein klares Bekenntnis zur Förderung der Mikroelektronik. Wir müssen unser Engagement in den Aufbau eines resilienten Ökosystems dringend verstärken
Denn trotz der bereitgestellten Mittel wird das von der EU angestrebte Ziel, bis 2030 einen Anteil von 20 Prozent an der weltweiten Halbleiterproduktion zu erzielen, kaum erreichbar sein. Selbst mit den derzeitigen Fördermaßnahmen wird der europäische Anteil von aktuell 8,1 Prozent bis 2045 auf nur noch 5,9 Prozent sinken. Das heißt wir könnten abgehängt und zum Spielball geopolitischer Machtinteressen werden.
Für den Staat ist die Förderung der Halbleiterei eine in jeder Hinsicht lohnende Investition: Laut unserer Studie „Von Chips zu Chancen: Die Bedeutung und Wirtschaftlichkeit der Mikroelektronikförderung“ erzielen die eingesetzten Fördermittel eine hohe Rendite von 30 bis 40 Prozent, wobei sich das investierte Geld nach neun bis zwölf Jahren amortisiert. Die Förderung führt zu einer jährlichen zusätzlichen Bruttowertschöpfung in Europa von rund 33 Milliarden Euro und erhöht die Steuereinnahmen um etwa 7,9 bis 8 Milliarden Euro pro Jahr. Zudem entstehen 65.000 neue, qualifizierte Arbeitsplätze in Europa, davon 49.000 allein in Deutschland.
Europa, die Nummer 1
In welchem Anwendungsbereich sehen Sie aktuell das größte Potenzial?
Die Anwendungen gehen eng einher mit den Megatrends, die wir gegenwärtig sehen. Natürlich gehört die künstliche Intelligenz dazu. Aber auch Automation und Elektrifizierung brauchen entsprechende Mikroelektronik mit eigens dafür ausgelegten Halbleitern. Insbesondere bei den Nachhaltigkeitstechnologien liegen für unsere europäischen Unternehmen übrigens große Potenziale. Wir sind hier auch in Sachen Halbleiter weltweit führend mit einem Marktanteil von etwa 40 Prozent.