Ein Medikament, das nicht auf Dopamin, sondern auf Glutamat zielt – und damit Millionen behandlungsresistenten Schizophrenie-Patienten neue Hoffnung macht. Auf der Frühjahrskonferenz des Equity Forum haben wir von der Finanztrends-Redaktion mit Stefan Weber, CEO von Newron Pharmaceuticals, gesprochen, über die Entwicklung eines neuartigen Medikaments als potenzielle erste Zusatztherapie für Schizophrenie-Patienten, die nicht ausreichend auf eine Behandlung mit Antipsychotika ansprechen bzw. behandlungsresistent sind.
Finanztrends: Viele Anleger haben Newron Pharmaceuticals bislang durch das Parkinson-Medikament Xadago kennengelernt. Was ist Ihre aktuelle Kernstrategie und worauf richten Sie sich in den nächsten Jahren aus?

Stefan Weber: Beide Produkte, das Parkinson-Produkt Xadago und das Schizophrenie-Produkt Evenamide, um das es derzeit vorrangig geht, kommen aus derselben Wirkstoff-Familie. Newron wurde vor 25 Jahren als Spin-Off von Pharmacia, die später zu Pfizer wurde, ausgegründet. Wir arbeiten mit Ionenkanal-Blockern, die spannungsabhängig funktionieren. Diese Medikamente wirken nur dann, wenn sie wirken sollen, und sind inaktiv, wenn sie nicht wirken sollen. Das hat den riesigen Vorteil, dass sie wirksam sind in bestimmten Situationen, aber nicht die Nebenwirkungen haben, wenn diese Situation nicht auftritt.
Das erste Produkt, das von diesem Ansatz profitierte, war unser Parkinson-Medikament Xadago, um das herum Newron gegründet wurde. Wir haben es 2015 in Europa und 2017 in den USA auf den Markt gebracht. Die weltweite Vermarktung haben wir bei diesem Produkt an Partner abgegeben. Mit Xadago haben wir gezeigt, dass wir über eine nachgewiesene Erfolgsbilanz in der Entwicklung und Markteinführung von Therapien des zentralen Nervensystems verfügen. Mit Evenamide versuchen wir nun, das kommerzielle Potenzial der Wirkstoffgruppe voll zu entfalten.
Finanztrends: Was unterscheidet Ihr Schizophrenie-Medikament von bestehenden Therapien?
Stefan Weber: Wir haben das einzige Medikament in der Schizophrenie-Entwicklung, das sich als Zusatztherapie zu jedem anderen gängigen Antipsychotikum qualifiziert und für behandlungsresistente Patienten und sogenannte Poor Responder geeignet ist. Das sind Patienten, die auf ihre heutige Medikation nicht mehr ausreichend ansprechen. Weltweit leben rund 25 Millionen Menschen mit Schizophrenie.
Für viele von ihnen sind aktuelle Therapien nicht wirksam genug bzw. nicht (mehr) wirksam: Schätzungen zufolge sprechen bis zu zwei Drittel der Betroffenen nicht adäquat auf Antipsychotika an. Und das bei einer Vielzahl an Medikamenten, die allesamt auf denselben Wirkmechanismus abzielen. Es gibt bislang keine zugelassene Zusatztherapie, was in anderen Bereichen des zentralen Nervensystems absolut normal ist.
Finanztrends: Welche Probleme haben Patienten mit den derzeitigen Schizophrenie-Medikamenten?
Stefan Weber: Die heutigen Medikamente können bei Männern und Frauen sexuelle Dysfunktion verursachen – das ist der hauptsächliche, aber oft nicht genannte Grund, warum Patienten die Medikation absetzen. Dazu kommen jede Menge Nebenwirkungen bis hin zu Parkinson-ähnlichen Symptomen, weil die Medikamente auf Dopamin wirken. Nach einer amerikanischen Studie wechseln 72 Prozent der Patienten alle 18 Monate ihr Medikament.
Ein Wirkstoff mit einzigartigem Mechanismus
Finanztrends: Was ist das Besondere an Ihrem Wirkstoff Evenamide?
Stefan Weber: Wir sind das einzige Medikament weltweit in der Entwicklung, das nicht auf Dopamin zielt, sondern auf Glutamat, einen anderen Neurotransmitter im Gehirn. Im Januar letzten Jahres haben wir Ergebnisse der ersten einjährigen Studie in der Zusatztherapie bei behandlungsresistenter Schizophrenie publiziert. Die Studie zeigte Ergebnisse, die mit den Erfahrungen aus der klinischen Praxis bisher nicht erreicht worden sind.
Finanztrends: Welche Ergebnisse haben Sie in Ihren Studien gesehen?
Stefan Weber: Als Zusatztherapie zu allen heutigen Medikamenten sahen wir eine kontinuierlich größer werdende Verbesserung zu allen Endpunkten bis zum Ende des Behandlungsjahres. Dabei verbesserten sich nicht nur die durchschnittlichen Symptome der Patienten signifikant – also der Mittelwert aller gemessenen Therapieeffekte – sondern auch die Zahl der Responder, also jener Patienten, die klar auf die Therapie ansprachen, verdoppelte oder sogar verdreifachte sich im Verlauf. Besonders bemerkenswert: 25 Prozent der Patienten waren in Remission, also praktisch symptomfrei, und zwar mindestens für sechs Monate innerhalb dieses einen Jahres. Das ist bisher in der Schizophrenie-Behandlung nicht dokumentiert.
Studien zeigen: Mehr Responder, weniger Rückfälle
Finanztrends: Konnten Sie diese Ergebnisse in weiteren Studien bestätigen?
Stefan Weber: Im April/Mai letzten Jahres erhielten wir Ergebnisse einer Phase 2/3 Studie in elf Ländern mit 291 Patienten. Diese war nur vier Wochen lang, aber placebokontrolliert. Wir haben genau dasselbe beobachtet: Von Tag 8 bis zum Tag 29 eine immer weiter spreizende Differenz zwischen Medikament und Placebo. Der Zusatznutzen von Evenamide war statistisch hoch signifikant. Interessanterweise hatten wir die niedrigste Placebo-Response in einer Schizophrenie-Studie der letzten Jahre, unter anderem weil wir durch Bluttests vorab ein Drittel der Patienten von der Teilnahme an der Studie ausschlossen, die gar nicht ihr angegebenes Medikament nahmen.
Finanztrends: Es gibt auch eine wissenschaftliche Begründung für die Wirkung Ihres Medikaments – können Sie das erläutern?
Stefan Weber: Mit einer Forschungsgruppe der Pittsburgh University haben wir an einem Modell gearbeitet, das zeigt, dass Schizophrenie in einem ganz bestimmten Hirnareal – im Hippocampus – beginnt. Dort sehen wir die typischen Symptome der Schizophrenie – und unser Evenamide ist das einzige Medikament, das genau dort angreift. Nur unser einzigartiger glutamaterger Wirkmechanismus adressiert die eigentliche Ursache der Schizophrenie ohne Umwege. In diesem Modell hat unser Medikament sowohl positive als auch negative Symptome normalisiert und kognitive Defizite beseitigt.
Finanztrends: Welche nächsten Schritte planen Sie in der klinischen Entwicklung?
Stefan Weber: Wir haben vor wenigen Tagen die Genehmigung für zwei Phase-3-Studienprogramme bekanntgegeben, die bis Ende nächsten Jahres Ergebnisse liefern werden. Die erste ist eine richtungsweisende Studie mit 600 Patienten, die über ein Jahr laufen wird. Wir werden nach zwölf Wochen erstmals zulassungsrelevante Wirksamkeits- und Sicherheitsergebnisse auslesen, dann nach 26 Wochen und schließlich nach einem Jahr. Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) und die europäischen Behörden haben zugesagt, dass bei ausreichend positiven Ergebnissen diese eine Studie für die Zulassung reichen würde.
Um das Risiko zu minimieren, starten wir parallel eine zweite, kleinere Studie mit 400 Patienten über 12 Wochen mit einem Fokus auf die USA. So haben wir zwei zulassungsrelevante Studien und verlieren keine Zeit auf dem Weg zum Markt.
Marktzugang, Zulassung und globale Partnerschaften
Finanztrends: Warum entwickeln Sie das Medikament als Zusatztherapie und nicht als Erstbehandlung?
Stefan Weber: Als Monotherapie stünden wir in direkter Konkurrenz zu den führenden Pharmakonzernen. Der Markt ist zersplittert, die meisten Medikamente sind generisch. Stattdessen wären wir das einzige Add-on-Therapeutikum weltweit.
Und vor allem wissenschaftlich macht es Sinn, weil wir sogar eine Synergie zwischen den Wirkmechanismen sehen. In der Praxis beginnt ein Schizophrenie-Patient heute mit einem dopaminergen Medikament. Nach etwa zwei Jahren lässt die Wirksamkeit nach. Beim Wechsel auf ein anderes Medikament gibt es oft Rückfälle. Studien zeigen: Bis zu 50 Prozent der Betroffenen unternehmen im Laufe ihres Lebens einen Suizidversuch, etwa 15 Prozent leider erfolgreich.
Diese alarmierenden Zahlen unterstreichen den medizinischen Bedarf, den wir mit Evenamide adressieren möchten. Wenn sich in den weiteren Studien bestätigt, was unsere bisherigen Ergebnisse zeigen, könnte unsere sichere Zusatztherapie es Patienten ermöglichen, auf ihrer Basismedikation zu bleiben. In unserer einjährigen Studie gab es nicht einen einzigen Rückfall.
Finanztrends: Welche Marktpotenziale sehen Sie für Evenamide?
Stefan Weber: Über 30 Prozent der Schizophrenie-Patienten sind offiziell behandlungsresistent, Ärzte sagen, in der Praxis sind es sogar über 50 Prozent. Es gibt ein Medikament aus den 1980er Jahren für behandlungsresistente Schizophrenie, Clozapin, dieses wird in den USA jedoch nur von etwa 5 Prozent der Patienten genutzt, in Europa von etwa 15 Prozent. Die übrigen werden off-label behandelt, also mit Medikamenten, die für diese Anwendung nicht zugelassen sind. Dieser große ungedeckte medizinische Bedarf erklärt die Unterstützung der Gesundheitsbehörden.
Newron SpA Aktie Chart
Finanztrends: Sie haben kürzlich Kooperationen mit anderen Unternehmen geschlossen. Was bedeuten diese Partnerschaften für Ihr Geschäft?
Stefan Weber: Für uns war klar: Wir brauchten externe Validierung. Angesichts unserer vergleichsweise niedrigen Marktkapitalisierung haben wir gemeinsam mit der Investmentbank Jefferies einen strukturierten Prozess gestartet – mit Erfolg. Wir konnten eine Partnerschaft mit der Eisai-Gruppe für Japan abschließen. Eisai ist im ZNS-Bereich mit Produkten für Demenz und Alzheimer hervorragend aufgestellt. Der Deal sichert uns vorab 55 Millionen Euro und weitere bis zu 62 Millionen Euro für Meilensteine wie Einreichung, Zulassung und weitere Indikationen.
Wir haben bei Evenamide lediglich die Rechte für etwa 5-10 Prozent des Weltmarkts vergeben – behalten also den Großteil in unserer Hand – und erhalten im Gegenzug bis zu zweistellige % an Umsatzbeteiligungen. Zusätzlich haben wir eine Partnerschaft mit Myung-In Pharm für Südkorea abgeschlossen, die uns unter anderem 60 Patienten für unsere globale Einjahresstudie bereitstellt. Diese Deals helfen uns, unsere Studien zu finanzieren und schaffen gleichzeitig Wert für das Unternehmen.
Finanztrends: Herr Weber, herzlichen Dank für das Gespräch.