Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
ein US-Bundesrichter hat Alphabet schuldig gesprochen. Der Tech-Gigant habe sein Suchmonopol illegal aufgebaut und verteidigt. Doch die Strafe fällt überraschend milde aus. Google muss weder seinen Chrome-Browser verkaufen noch die milliardenschweren Zahlungen an Apple einstellen. Der Grund für diese Zurückhaltung ist bemerkenswert. Richter Amit Mehta glaubt, dass künstliche Intelligenz das Monopol von ganz alleine zerschlagen wird. Für Anleger stellt sich damit eine entscheidende Frage. Ist diese Einschätzung zutreffend oder unterschätzt der Richter die Widerstandskraft des Suchgiganten?
Das Kartellurteil und seine überraschenden Folgen
Die Geschichte dieses Verfahrens erstreckt sich über mehr als ein Jahr. Im August 2024 traf Richter Mehta zunächst eine historische Grundsatzentscheidung. Er stellte fest, dass Google zwar mit einem überlegenen Produkt gestartet war. Doch der Konzern sicherte seine Dominanz durch fragwürdige Praktiken ab. Jährlich fließen Milliarden an Apple, Samsung und andere Partner. Im Gegenzug bleibt Google die voreingestellte Suchmaschine auf deren Geräten. Diese Zahlungen zementieren den Status quo und erschweren Wettbewerbern den Markteintritt.
Nach diesem Schuldspruch folgte ein separates Verfahren über die Konsequenzen. Erst jetzt im November 2025, also gut ein Jahr nach der ursprünglichen Entscheidung, legte Mehta seine 230 Seiten umfassende Urteilsbegründung zu den Strafmaßnahmen vor. Die Strafe hätte drastisch ausfallen können. Das US-Justizministerium forderte den Zwangsverkauf von Chrome. Dieser Browser ist das Tor zu Googles Suchmaschine für Hunderte Millionen Nutzer weltweit. Doch Mehta lehnte ab.
Seine Begründung lässt sich auf einen Kerngedanken reduzieren. Die Entstehung generativer KI habe den gesamten Fall verändert. Der Richter verwies auf einen bemerkenswerten Unterschied zwischen den beiden Verfahrensabschnitten. Im Sommer 2024, als es um die Schuldfrage ging, habe niemand ausgesagt, dass KI die Suchbranche umkrempeln würde. Bei den Anhörungen zu den Strafmaßnahmen im Jahr 2025 sagten hingegen zahlreiche Zeugen genau das aus. In diesen zwölf Monaten hatte sich die öffentliche Wahrnehmung von KI grundlegend gewandelt.
Die Illusion der Selbstkorrektur
Diese Argumentation klingt plausibel. ChatGPT, Perplexity und andere KI-Dienste gewinnen seit Ende 2022 rasant an Nutzern. Junge Menschen fragen zunehmend Chatbots statt Suchmaschinen. Sogar Microsoft-CEO Satya Nadella sprach von seiner Angst, dass Google seine Suchdominanz auf KI ausweiten könnte. Ein ranghoher Google-Manager gab zu, nachts wachzuliegen. Er fürchte, dass junge Nutzer den „Großvater Google“ links liegen lassen.
Doch zwei neue Bücher stellen diese optimistische Sichtweise grundlegend infrage. Tim Wu, Juraprofessor an der Columbia University, nennt den Glauben an selbstkorrigierende Märkte einen „hartnäckigen Traum“. In seinem im November 2025 erschienenen Werk „The Age of Extraction“ zeigt er, dass Monopolisten niemals passiv auf neue Technologien reagieren. Sie bekämpfen, kopieren oder kaufen potenzielle Herausforderer. AT&T etwa wehrte sich jahrzehntelang gegen Anrufbeantworter und Modems. Erst staatlicher Zwang öffnete das Telefonnetz für Innovationen.
Autor Cory Doctorow geht in seinem ebenfalls im November 2025 veröffentlichten Buch „Enshittification“ noch einen Schritt weiter. Er erklärt, warum Technologieplattformen mit der Zeit schlechter werden. Ohne Wettbewerb fehlt der Anreiz zur Verbesserung. Stattdessen pressen Monopolisten ihre Kunden aus. Diese zahlen, weil sie keine Alternative haben. Google sei ein Paradebeispiel für dieses Phänomen. Die Suchqualität sinke bewusst. Mehr Suchanfragen bedeuten mehr Werbeanzeigen und damit mehr Umsatz.
Alphabets strukturelle Vorteile im KI-Zeitalter
Für Anleger ist die entscheidende Frage nicht, ob KI die Suche verändert. Das tut sie zweifellos. Die Frage lautet, wer am Ende davon profitiert. Und hier spricht vieles für Alphabet. Der Konzern verfügt über einzigartige Ressourcen, die kein Startup replizieren kann.
Erstens besitzt Google einen unerschöpflichen Strom aktueller Informationen. Die Suchmaschine indexiert das gesamte Internet in Echtzeit. YouTube liefert Milliarden Stunden Videomaterial. Diese Daten sind der Treibstoff für KI-Modelle. Kein Wettbewerber hat vergleichbaren Zugang.
Zweitens verfügt Alphabet über massive Rechenkapazitäten. Das Kerngeschäft und die Cloud-Sparte betreiben Rechenzentren auf der ganzen Welt. KI-Training verschlingt enorme Ressourcen. Alphabet kann diese aus eigener Kraft bereitstellen. Der Konzern muss nicht auf externe Partner setzen oder Milliarden für Cloud-Dienste ausgeben.
Drittens kennt Google seine Nutzer besser als jeder Konkurrent. Jahrzehnte an Suchanfragen, E-Mails und Standortdaten ermöglichen hochgradig personalisierte KI-Dienste. Diese Individualisierung ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. KI-Modelle werden umso nützlicher, je besser sie den einzelnen Nutzer verstehen.
Viertens fehlt es nicht an Kapital. Die KI-Konkurrenten wie OpenAI oder Anthropic verbrennen Milliarden. Keiner von ihnen erwirtschaftet Nettogewinne. Sollten die Investoren irgendwann den Geldhahn zudrehen, steht Alphabet als letzter Spieler auf dem Feld. Das Werbegeschäft spült zuverlässig Cashflow in die Kassen.
Die Abhängigkeit der vermeintlichen Herausforderer
Ein genauer Blick auf die KI-Branche offenbart ein weiteres Muster. Die angeblich neuen Wettbewerber sind keineswegs unabhängig. OpenAI ist eng mit Microsoft verflochten und nutzt dessen Infrastruktur. Microsoft hat seit 2019 mehr als 13 Milliarden Dollar in das Unternehmen investiert. Anthropic hat sowohl Amazon als auch Google als Investoren. Perplexity wird unter anderem von Amazon-Gründer Jeff Bezos und Nvidia finanziert. Selbst Elon Musks xAI ist keine echte Alternative, sondern ein weiterer Ableger eines Tech-Milliardärs.
Diese Verflechtungen sind kein Zufall. Tim Wu beschreibt das Muster präzise. Die etablierten Tech-Konzerne betrachten KI wie einst die Telegrafenmonopolisten das Telefon. Es ist ein Risiko, das kontrolliert werden muss. Am liebsten wäre es ihnen, wenn KI ein Zusatzgeschäft zu ihren bestehenden Monopolen bleibt. Die Investitionen in Startups dienen auch der Kontrolle potenzieller Störenfriede.
Apple macht vor, wie diese Strategie funktioniert. Statt eigene KI zu entwickeln, integriert der iPhone-Hersteller fremde Technologie. Erst in diesem Monat schloss Apple einen Deal mit Google. Dessen KI wird künftig in Siri eingebunden. Apple verkauft Geräte und kassiert dafür, dass andere Zugang zu seinen Nutzern erhalten. Die bestehenden Machtverhältnisse bleiben unangetastet. Google wiederum erhält direkten Zugang zu Hunderten Millionen iPhone-Nutzern.
Was die Bewertung verrät
An der Börse spiegeln sich diese Zusammenhänge nur teilweise wider. Die Magnificent Seven, zu denen auch Alphabet gehört, machen heute etwa ein Drittel des S&P 500 aus. Diese Konzentration ist historisch beispiellos. Sie zeigt, wie dominant diese Unternehmen geworden sind. Kritiker warnen vor Klumpenrisiken in Portfolios, die den breiten Index abbilden.
Alphabet notiert derzeit mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis, das unter dem vieler Tech-Wettbewerber liegt. Der Markt preist offenbar ein gewisses KI-Risiko ein. Doch wenn die Analyse stimmt, dass Google im KI-Zeitalter eher Gewinner als Verlierer sein wird, erscheint diese Bewertung attraktiv. Die Aktie könnte von einer Neubewertung profitieren, sobald sich die KI-Ängste als übertrieben herausstellen.
Ein Denkanstoß zum Schluss
Der Richter in Washington glaubt an die heilende Kraft des Marktes. Doch die Geschichte lehrt etwas anderes. Monopole korrigieren sich nicht von selbst. Sie nutzen ihre Ressourcen, um neue Bedrohungen zu neutralisieren. Google hat das Geld, die Daten und die Infrastruktur, um im KI-Zeitalter zu bestehen. Das milde Kartellurteil gibt dem Konzern zusätzlichen Spielraum. Wer auf einen schnellen Niedergang des Suchgiganten wettet, könnte lange warten müssen. Für geduldige Anleger bleibt Alphabet eine der interessantesten Positionen im Technologiesektor.
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