Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
stellen Sie sich vor, ein schwedischer Tech-Unternehmer investiert 100 Millionen Dollar in ein Rüstungs-Startup. Die Reaktion: Boykottaufrufe, Social-Media-Shitstorms, öffentliche Anfeindungen. Das war 2021. Heute, vier Jahre später, umarmen ihn die gleichen Menschen. Was ist passiert? Europa erlebt einen der dramatischsten Paradigmenwechsel in der Investmentgeschichte – und die Zahlen sind atemberaubend.
Der Tabubruch, der Milliarden bewegt
Jahrzehntelang galt eine eiserne Regel in Europas Tech-Szene: Wer in Verteidigungstechnologie investiert, ist gesellschaftlich erledigt. „Schlimmer als Pornoseiten“, erinnert sich der schwedische Serienunternehmer Karl Rosander. Friedensbewegung, pazifistische Traditionen und moralische Bedenken machten Defense-Tech zum absoluten No-Go für europäische Gründer und Investoren. Selbst Daniel Ek, Gründer von Spotify und einer der erfolgreichsten Tech-Visionäre Europas, wurde 2021 zum Buhmann, als er über 100 Millionen Dollar in das Münchner Defense-Startup Helsing steckte.
Heute ist die Welt eine andere. Venture-Capital-Investitionen in europäische Defense-, Security- und Resilience-Startups werden 2025 die 8-Milliarden-Dollar-Marke überschreiten. Zum Vergleich: 2015 waren es weniger als 500 Millionen Dollar. Das entspricht einem Wachstum von mehr als 1.500 Prozent in einem Jahrzehnt. Allein gegenüber dem Vorjahr bedeutet der Sprung von 5,4 auf 8 Milliarden Dollar ein Plus von fast 50 Prozent.
Warum Defense-Tech Investitionen Europa plötzlich elektrisieren
Drei Faktoren haben diesen dramatischen Wandel ausgelöst. Der offensichtlichste ist Russlands großangelegte Invasion der Ukraine im Februar 2022. Was viele Europäer für undenkbar hielten – einen konventionellen Krieg auf dem Kontinent – wurde brutale Realität. Drohnenangriffe und Cyberattacken mit bekannten oder vermuteten russischen Verbindungen tief im europäischen Hinterland haben die Bedrohung greifbar gemacht.
Der zweite Katalysator ist die veränderte Beziehung zu den USA. Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus im Januar 2025 und die nachfolgende Rede von Vizepräsident JD Vance in München, in der er Europa Zensur und Ignoranz gegenüber den eigenen Bürgern vorwarf, haben vielen Europäern klargemacht: Auf den amerikanischen Schutzschirm können sie sich nicht mehr bedingungslos verlassen.
Der dritte Faktor ist ökonomischer Natur. Während Europa den globalen Wettlauf um kommerzielle Tech-Dominanz längst gegen Silicon Valley verloren hat, bietet Defense-Tech eine neue Chance. Die NATO-Regierungen haben im Juni zugesagt, ihre Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit mehr als zu verdoppeln. Wo staatliches Geld in dieser Größenordnung fließt, wittern Investoren Chancen.
Die amerikanische Geldflut nach Europa
Besonders bemerkenswert ist die Rolle amerikanischer Investoren. Sie stellen seit 2022 den zweitgrößten Pool an Kapital für europäische Defense-Startups – nur übertroffen von heimischen Investoren und noch vor anderen europäischen Ländern. Das ist kein Zufall. US-Venture-Capitalisten haben jahrzehntelange Erfahrung mit Security-Startups und wissen, dass viele scheitern werden. Sie bringen nicht nur Geld, sondern auch Know-how.
Torsten Reil, Mitgründer von Helsing, erinnert sich: „Vor fünf Jahren war es unmöglich, Geld von europäischen VCs zu bekommen.“ Heute ist Helsing eines der am höchsten bewerteten Defense-Startups Europas. Die Investorin Jeannette zu Fürstenberg wollte 2021 in Helsing investieren, durfte aber nicht – europäische Regulierungen verboten ihrem Fonds Investitionen in militärnahe Unternehmen. Sie investierte schließlich privates Geld. Heute ist sie Managing Director bei General Catalyst, das massiv in europäische Defense-Startups investiert.
Der Drang amerikanischer VCs nach Europa hat einen weiteren Grund: US-Sicherheitsvorschriften beschränken ausländische Beteiligungen an militärischen Unternehmen oder klassifizierten Technologien. Europäische Ingenieure und Unternehmer, die früher in die USA auswanderten, bleiben jetzt zunehmend zu Hause und verteidigen ihr eigenes Territorium.
Von Drohnenabwehr bis KI-gestützte Aufklärung
Die konkreten Anwendungen sind vielfältig. Nordic Air Defence aus Schweden entwickelt kostengünstige Drohnenabfangsysteme. Als Karl Rosander letztes Jahr die Kontrolle übernahm, wollten seine Tech-Kontakte zunächst nicht zuhören. Heute, sagt er, umarmen ihn die Leute dafür, Europa zu schützen. Bewerbungen technischer Experten strömen herein.
Das ukrainische Startup Swarmer produziert Militärdrohnen und erhält Finanzierung von Charles Eberly von Szecsey, einem wohlhabenden Investor und ehemaligen US-Marine, dessen europäische Großeltern unter den Nazis litten. Statt einen klassischen Venture-Fund zu gründen, hat Eberly eine Betriebsgesellschaft namens Oedipus gegründet, um seine Beteiligungen aufzubauen und Synergien zu schaffen. Die erste Finanzierungsrunde bewertet das Unternehmen auf über 100 Millionen Dollar.
Helsing selbst arbeitet an KI-gestützten Verteidigungs- und Aufklärungssystemen. Das Münchner Unternehmen symbolisiert den Wandel: Von der Ächtung zur Akzeptanz in weniger als fünf Jahren.
Die strukturellen Herausforderungen bleiben bestehen
Trotz der beeindruckenden Wachstumszahlen bleibt die Defense-Tech-Finanzierung in Europa winzig im Vergleich zu den Billionen Dollar, die für europäische Sicherheit benötigt werden. Das Kapital reicht bisher nicht aus, um Frühphaserunternehmen schnelles Wachstum zu ermöglichen, sagen Gründer und Investoren übereinstimmend.
Europas größtes strukturelles Problem ist das Fehlen eines einzigen großen Kunden. US-Sicherheits-Startups der letzten Jahre wie Palantir und Anduril profitierten von Verträgen mit dem Pentagon, das über ein massives Budget verfügt. In Europa verteilen sich Militär- und Sicherheitsausgaben auf über 30 Länder, jedes mit eigenen Prioritäten und Zeitplänen.
Wenn Europa seine Ausgaben nicht konzentrieren kann, werden seine Startups Schwierigkeiten haben zu wachsen oder den schwerfälligen militärischen Sektor des Kontinents aufzurütteln, wie es US-Startups in Washington tun. Diese Fragmentierung könnte sich als entscheidender Wettbewerbsnachteil erweisen.
Überzeugung statt Opportunismus
Was diesen Trend von anderen Investmentwellen unterscheidet, ist die tiefe persönliche Überzeugung vieler Beteiligter. „Es gibt Überzeugung“ unter den Führern von Defense-Startups, nicht nur Opportunismus, sagt Sten Tamkivi, estnischer Serienunternehmer und Partner bei Plural Platform.
Eric Slesinger, ein Ingenieur und ehemaliger CIA-Offizier, zog 2021 nach Spanien, als er spürte, dass die europäische Startup-Szene Sicherheit entdeckte. Kurz nach Russlands Großinvasion 2022 gründete er das European Defense Investor Network, um Gründer und Investoren zusammenzubringen. Er hat seitdem zwei Defense-Tech-Konferenzen abgehalten und einen 23-Millionen-Dollar-Fonds namens 201 Ventures aufgelegt.
Markus Federle, ein deutscher Venture Capitalist, der den auf Defense- und Resilience-Technologie fokussierten Fonds Tholus Capital aufbaut, sieht wachsendes Interesse. Die Teilnehmerzahlen bei seinen Konferenzen in Berlin, New York und Sydney steigen. Dennoch warnt er: „Defense ist für Europa immer noch sehr neu.“ Deals materialisieren sich langsamer als erwartet.
Eine nationalistische Chance in globalisierter Zeit
Defense-Tech bietet Europa etwas Paradoxes: eine Chance auf technologische Führerschaft durch Nationalismus in einer ansonsten globalisierten Wirtschaft. Diese Logik könnte sich als entscheidender Vorteil erweisen. Während europäische Unternehmen bei sozialen Medien, Cloud Computing und künstlicher Intelligenz das Nachsehen hatten, sind Defense-Technologien anders. Regierungen kaufen sie bevorzugt von heimischen oder verbündeten Anbietern. Geistiges Eigentum bleibt im Land. Lieferketten werden kontrolliert.
Was für langfristige Investoren zählt
Für Anleger bietet der Defense-Tech-Sektor in Europa eine seltene Kombination: explosives Wachstum, strukturelle Nachfrage durch geopolitische Veränderungen und staatliche Unterstützung. Das Risiko ist beträchtlich – viele Startups werden scheitern, Technologien könnten obsolet werden, regulatorische Hürden bleiben hoch.
Doch die fundamentalen Treiber sind stark. Solange die geopolitische Unsicherheit anhält und europäische Regierungen ihre Verteidigungsbudgets ausweiten, wird Kapital in den Sektor fließen. Der Bewusstseinswandel – von „schlimmer als Pornoseiten“ zu gesellschaftlicher Akzeptanz – ist vermutlich irreversibel. Und das ist die beste Voraussetzung, dass auch im öffentlichen Kapitalmarkt, also der Börse, das Thema an Breite gewinnt, vor allem auch über eine höhere IPO-Tätigkeit. Die Performance der bisherigen Highlight-Aktien wie Rheinmetall, Hensoldt und Renk zeigt jedenfalls, dass hier einiges in Bewegung geraten ist.
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