Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
während die Welt auf die Börsen in New York und Frankfurt blickt, vollzieht sich in Shanghai und Shenzhen ein Drama, das weitreichende Folgen für die globale Wirtschaft haben könnte. Chinas Aktienmarkt, mit einem Volumen von 11 Billionen Dollar einer der größten der Welt, entwickelt sich zum Kopfzerbrechen für Präsident Xi Jinping und US-Präsident Donald Trump gleichermaßen. Denn was auf den ersten Blick wie ein rein chinesisches Problem aussieht, hat das Zeug, die Weltwirtschaft aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Ein Markt, der seine Anleger im Stich lässt
Die Zahlen zeichnen ein ernüchterndes Bild der chinesischen Aktienmärkte. Während eine Investition von 10.000 Dollar in den S&P 500 vor zehn Jahren heute mehr als 30.000 Dollar wert wäre, hätte dieselbe Summe im chinesischen CSI 300 Index gerade einmal 13.000 Dollar erreicht. Selbst nach einer jüngsten Rally bewegen sich die chinesischen Indizes erst wieder auf dem Niveau nach dem dramatischen Platzen der Spekulationsblase vor einem Jahrzehnt.
Diese miserable Performance hat weitreichende Konsequenzen für die chinesische Wirtschaft. Statt Verbraucher zum Ausgeben zu ermutigen, treibt sie diese in die entgegengesetzte Richtung: Chinas Sparquote liegt bei außergewöhnlichen 35 Prozent des verfügbaren Einkommens – ein Wert, der die meisten westlichen Länder weit übertrifft. Der chinesische Kapitalmarkt war lange Zeit ein Paradies für Finanziers und eine Hölle für Investoren.
Strukturelle Probleme seit Jahrzehnten
Die Wurzeln des Problems reichen 35 Jahre zurück bis zur Gründung der chinesischen Börsen. Diese wurden nicht primär geschaffen, um Anlegern Renditen zu bescheren, sondern um Staatsunternehmen dabei zu helfen, Ersparnisse der Haushalte in den Bau von Straßen, Häfen und Fabriken zu kanalisieren. Diese ursprüngliche Ausrichtung auf die Finanzierungsfunktion statt auf Anlegerrenditen prägt den Markt bis heute.
Das explosive Wachstum bei Börsengängen machte China 2022 zum weltgrößten IPO-Markt. Doch unzureichende Schutzmaßnahmen für Aktionäre und laxe Überwachung von Betrug führten zu Kursabstürzen und Delistings. Die Börsen sind stark darauf ausgerichtet, den Finanzierungsbedarf der Regierung zu erfüllen. Doch wenn es darum geht, die Interessen der Investoren zu schützen, gibt es nur wenige, die dazu motiviert sind. Regulatoren und Börsen neigen bewusst oder unbewusst zur Finanzierungsseite des Geschäfts.
Reformbemühungen zeigen erste Wirkung
Die chinesische Führung hat die Problematik erkannt und erste Schritte unternommen. Börsengänge schrumpften 2024 auf fast ein Drittel des Vorjahresniveaus. Unternehmen in Shanghai und Shenzhen schütteten für 2024 kombiniert 2,4 Billionen Yuan an Bardividenden aus – ein Anstieg von neun Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Vorschriften und Gesamtanforderungen nach dem Börsengang sind strenger geworden, was Zuverlässigkeit, Transparenz und Informationsoffenlegung betrifft.
Doch diese Reformen greifen noch zu kurz. Selbst mit dem Anstieg bei Aktienrückkäufen gaben CSI 300-Unternehmen 2024 nur 0,2 Prozent ihres Marktwertes für den Rückkauf eigener Aktien aus – weit weniger als die fast zwei Prozent der S&P 500-Firmen. Einfach nur das Volumen zu erhöhen, ohne die Kernprobleme der Unternehmensglaubwürdigkeit anzugehen, wird nur Masse hinzufügen, ohne das Vertrauen der Anleger wiederherzustellen.
Problematisch auch ist der jüngste politische Vorstoß, mehr Tech-Listings anzuziehen. Die Regulatoren nehmen die Notierung unrentabler Unternehmen am STAR-Board wieder auf und erlauben dies erstmals auch für das in Shenzhen ansässige ChiNext-Board. IPOs sind in diesem Jahr bereits um fast 30 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum 2024 gestiegen. Wobei grundsätzlich nichts gegen mehr IPOs, und auch aus der Tech-Ecke, einzuwenden ist. Doch hier macht die – zu hinterfragende – Struktur die Musik.
Geldpolitik zwischen Wachstum und Stabilität
Die Probleme des Aktienmarktes verschärfen das Dilemma der chinesischen Geldpolitik erheblich. Die Peoples Bank of China steht vor einem schwierigen Spagat: Einerseits soll sie die schwächelnde Wirtschaft stützen, andererseits muss sie einen stabilen Wechselkurs aufrechterhalten und die schrumpfenden Gewinnmargen der Banken berücksichtigen. Der Spielraum für konventionelle geldpolitische Lockerungen wie Zinssenkungen ist begrenzt.
Die jüngsten Wirtschaftsdaten aus Juli unterstreichen diese Herausforderung. China erlebte die tiefste Konjunkturabschwächung des Jahres, mit schwächeren Ausgaben für Infrastruktur und Konsum. Anlageinvestitionen fielen um rund 5,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr – der schlechteste Wert seit dem Ausbruch von Covid Anfang 2020. Wirtschaftsexperten prognostizieren, dass Peking sehr wahrscheinlich eine neue Runde unterstützender Maßnahmen in der zweiten Jahreshälfte einleiten wird.
Trump-Zölle verstärken den Druck
Die Handelsspannungen mit den USA unter Präsident Trump verstärken den Druck auf Chinas Wirtschaft zusätzlich. Eine Kampagne zur Eindämmung von Überkapazitäten im Inland verstärkt die Belastung durch höhere Zölle. Es scheint, als würden die US-Zölle gerade erst zu beißen beginnen. Die Inlandsnachfrage ist träge, doch China bereitet sich auf einen langwierigen Handelskrieg vor und hält unterstützende Maßnahmen zurück für den Fall, dass die Exporte wirklich zu schwächeln beginnen.
Ökonomen erwarten, dass die Peoples Bank of China ihre Politik bereits im September weiter lockern wird. Die Zentralbank hatte zuletzt im Mai ihre Geldpolitik gelockert, als sie Zinssätze senkte und die Mindestreservepflicht für Banken reduzierte.
Konsumförderung als neuer Fokus
Bemerkenswert ist die strategische Neuausrichtung der chinesischen Kreditvergabe. Die fünf wichtigsten prioritären Finanzierungssektoren – darunter Hochtechnologie, kleine und mittlere Unternehmen sowie Altenpflege – machten in der ersten Jahreshälfte 2025 etwa 70 Prozent des neuen Kreditwachstums aus. Im Gegensatz dazu entfielen 2016 noch mehr als 60 Prozent auf Immobilien und Infrastruktur.
Die Peoples Bank hat angekündigt, dass sie in Zukunft ihre Unterstützung auf technologische Innovationen und die Erweiterung des Konsums konzentrieren wird. Diese Veränderung zeigt, dass man erkannt hat, das bisherige Wirtschaftsmodell, das sich hauptsächlich auf Investitionen und Produktion stützte, stößt an seine Grenzen und es ist Zeit, den Fokus auf den Binnenkonsum zu legen.
Deflation als unterschätzte Gefahr
Ein besonders besorgniserregendes Phänomen ist die schleichende Deflation in der chinesischen Wirtschaft. Peking führt einen Kampf gegen zerstörerische Preiskämpfe, da Hersteller auf den Aufruf reagierten, die übermäßige Fabrikproduktion zu zügeln. Investitionen in Sektoren wie Batterien und Solarpaneele verschlechterten sich im Juli erheblich – Branchen, in denen einige der intensivsten Preiskämpfe weiterhin toben.
Die Peoples Bank befindet sich in einer Zwickmühle: Sie forderte koordinierte Maßnahmen zur Ankurbelung der Inflation und argumentierte, dass eine Erhöhung der Geldmenge unter einem investitions- und produktionsgetriebenen Wirtschaftsmodell das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage verschlimmern könnte.
Chance für geduldige Investoren
Trotz aller Herausforderungen bietet der chinesische Aktienmarkt auch Chancen für geduldige Anleger. Investmentexperten sehen einen Börsenaufschwung als einzige schnelle Lösung zur Stärkung des Verbrauchervertrauens. Die strukturellen Reformen zeigen erste Wirkung, auch wenn der Weg noch weit ist. Die Politbüro der Kommunistischen Partei versprach in einem seltenen Ausdruck der Unterstützung, „Wohnungs- und Aktienmärkte zu stabilisieren“. Solche hochrangigen Bekenntnisse zu den Aktienmärkten waren in der Vergangenheit ungewöhnlich.
Fazit: Ein Markt im Wandel mit globalen Auswirkungen
Chinas Aktienmarkt steht an einem Wendepunkt. Die jahrzehntelange Missachtung der Anlegerinteressen zugunsten der Unternehmensfinanzierung zeigt sich jetzt in schwachen Renditen und einem geringen Verbrauchervertrauen. Es gibt jedoch erste Fortschritte bei den Reformbemühungen, und die Führung hat die Bedeutung funktionierender Kapitalmärkte für die wirtschaftliche Transformation erkannt.
Für internationale Investoren bietet diese Situation sowohl Risiken als auch Chancen. Jene, die bereit sind, die kurzfristigen Unruhen zu ertragen und auf die langfristige Transformation Chinas zu setzen, könnten von den strukturellen Veränderungen profitieren. Eines ist klar: Ein funktionierender chinesischer Aktienmarkt ist nicht nur für Xi Jinping und die chinesischen Sparer wichtig – er ist auch entscheidend für die Stabilität der gesamten Weltwirtschaft.
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