Volle Auftragsbücher in der Bahnsparte, konsequente Erschließung von Marktbereichen mit hohem Wachstumspotenzial in der Zukunft – eigentlich sieht es an der Nachrichtenfront für Siemens diese Woche bisher sehr positiv aus.
Die Anleger teilen diese Sichtweise jedoch augenscheinlich nicht und haben den Kurs von rund 106 Euro am Dienstag auf 98,02 Euro am Donnerstag (Stand 12.00 Uhr) fallen lassen. Damit nähert sich die Siemens-Aktie unaufhaltsam ihrem 52-Wochen-Tief bei 97,76 Euro an. Die Sorgen der Aktionäre angesichts des Krieges in der Ukraine und der Russland-Sanktionen scheinen in Bezug auf Siemens derzeit noch zu überwiegen.
Was ist los bei Siemens?
- Neues Plattform- und Abo-Modell
- Ärger in Ägypten?
- Übernahme von Brightly Software
- Große Investition in Schnellladenetz in den USA
- Zukunftsmarkt: kabelloses Laden von E-Autos
Nachdem in der vergangenen Woche noch Schlagzeilen rund um eine Siemens-Turbine und die Nord-Stream-1-Pipeline die Medien dominierten, sieht die Nachrichtenlage in dieser Woche wesentlich differenzierter aus.
Siemens entdeckt das Abo-Modell für sich
Andere Industriezweige, wie z.B. die Automobilbranche oder Druckmaschinen-Hersteller wie Heideldruck, haben bereits erste positive Erfahrungen mit einem Geschäftsmodell auf Abo-Basis gemacht. Nun legt Deutschlands größter Industriekonzern Siemens in diesem Bereich nach.
Siemens will mit seinem Plattform-Konzept Xcelerator ein ganzes Ökosystem für seine Kunden und Partner schaffen, um dort die eigenen Angebote besser verknüpfen zu können. Die Plattform soll auch einen Marktplatz beinhalten und sich Drittanbietern öffnen. Für die technische Umsetzung des Projekts hat man sich mit dem Grafikchip-Produzenten Nvidia einen erfahrenen Partner an die Seite geholt.
Nach Angaben des Unternehmens ist Xcelerator ein Oberbegriff für Dienstleistungen, mit denen Kunden Projekte vor Baubeginn visualisieren können, erklärte Tony Hemmelgarn, CEO von Siemens digital Industries Software, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Die Plattform stelle sicher, dass die Produkte „gut funktionieren, bevor wir uns verpflichten, sie in der realen Welt zu bauen, wenn es wirklich teuer und schwierig wird, sie zu ändern“.
Unter anderem möchte Siemens auf Xcelerator für Hardware und Software aus dem eigenen Haus Pakete schnüren, die Kunden per Abonnement mieten können. Hohe Investitionen in den Kauf der Produkte würden damit in Zukunft entfallen, sollte man sich als Kunde zu diesem Geschäftsmodell entschließen.
Bisher setzt Siemens laut Unternehmensangaben jährlich 5,6 Mrd. Euro im Digitalgeschäft um. Der Konzern peilt mithilfe von Xcelerator ein Wachstum von 10 Prozent in diesem Bereich an. Wenn alles nach Vorstellung, sollen sich damit deutlich mehr Zuwächse erwirtschaften lassen als in den anderen Unternehmenssparten.
Das größte Projekt aller Zeiten
Vor rund einem Monat konnte Siemens einen Coup vermelden: Die ägyptische Regierung hatte mit dem deutschen Konzern einen Vertrag abgeschlossen zwecks Modernisierung des Schienenverkehrs in Ägypten. Auftragsvolumen: rund 8 Mrd. Euro – der größte Einzelauftrag der Firmenhistorie.
Doch ägyptische Experten äußerten in den vergangenen Tagen Kritik an dem Mammut-Projekt. Tenor: Bisher hat Siemens noch viel zu wenige Informationen hinsichtlich der genauen Umsetzung bekanntgegeben. Kann dieses Vorhaben tatsächlich das völlig überlastete Schienennetz im Land entlasten oder baut Siemens womöglich am eigentlichen Bedarf vorbei? Ohne konkrete Studienergebnisse ließe sich das schlichtweg nicht zufriedenstellend analysieren, monieren die Experten.
Zudem erscheint fraglich, wie das hochverschuldete Ägypten die Investitionen in Höhe von 8 Mrd. Euro finanziell überhaupt stemmen will. Dazu hatte sich die Regierung nämlich bedeckt gehalten. Die aktuellen Marktverwerfungen setzen dem Land jedenfalls massiv zu. Erst kürzlich hatte man den IWF um einen Kredit gebeten.
Übernahme von Brightly und Kooperation mit VW
Siemens lässt sich die Übernahme des US-Software-Unternehmens Brightly aus North Carolina rund 1,5 Mrd. Euro kosten. Die Firma ist spezialisiert auf Software-Anwendungen im Bereich Wartungs- und Anlagenmanagement. Der Siemens-Vorstand Matthias Rebellius äußerte als Motiv für den Zukauf, dass der Konzern eine führende Marktposition als Softwareanbieter im Bereich Infrastruktur anstrebe. Dieses Vorhaben lasse sich durch die Übernahme beschleunigen.
Darüber hinaus will sich Siemens in den USA gemeinsam mit dem deutschen Automobilkonzern VW mit 450 Mio. Dollar an der Firma Electrify America beteiligen. Electrify America ist Betreiber von Ladeparks mit einem Schnellladenetz, das öffentlich zugänglich ist.
Zudem erwarb Siemens für 25 Mio. Dollar eine Beteiligung an dem Start-up Witricity, das im Umfeld der US-Elite-Universität MIT gegründet wurde. Ehrgeiziges Ziel dieses Unternehmens: ein System zu entwickeln, das zukünftig das kabellose Aufladen von E-Auto-Batterien ermöglicht. Siemens traut dem Start-up zum einem zu, die Entwicklung bis zur Marktreife voranzutreiben. Zum anderen schätzt der Konzern das Umsatzvolumen für diese Technologie bis 2028 auf rund 2 Mrd. Dollar ein.
Neue Analysten-Einschätzungen zur Siemens-Aktie
Die Rückmeldung zu den neuesten Nachrichten fiel bisher seitens der Analysten unisono positiv aus. Alle vier Experten lobten die Brightly-Übernahme als strategisch sinnvoll. Lediglich Gael de-Bray (Deutsche Bank) monierte, dass der Kaufpreis „alles andere als gering“ ausfalle. Immerhin behauptete er nicht, dass die Übernahme zu teuer sei.
Außerdem lobte Philip Buller (Berenberg) Siemens Investitionen in die US-amerikanische Schnelllade-Technologie, die sehr viel Zukunftspotenzial verspreche. Generell stufen die vier Analysten die Siemens-Aktie mit Kurszielen zwischen 160 und 190 Euro als deutlich unterbewertet ein und formulieren daher klare Kaufempfehlungen.
Die jüngsten Analysten-Updates im Überblick:
Analyst | Empfehlung | Kursziel |
Jefferies | Buy | 190 Euro |
Berenberg | Buy | 176 Euro |
RBC | Outperform | 175 Euro |
Deutsche Bank | Buy | 160 Euro |
Fazit des Tages
Die Siemens-Aktie leidet derzeit darunter, dass viele Investoren eine globale Rezession befürchten. Die Folgen wären unter anderem Zurückstellungen von Investitionen, was sich vermutlich auch in den Auftragsbüchern von Siemens niederschlagen würde. Zudem ist aufgrund der explodierenden Energiepreise mit höheren Kosten zu rechnen, die sich zumindest kurz- und mittelfristig auf die Margen auswirken könnten.
Nichtsdestotrotz hat sich der Konzern in der Vergangenheit als äußerst robust gezeigt – auch in Krisensituationen. Die zahlreichen Investitionen in zukunftsträchtige Geschäftsfelder zeigen auf, dass der DAX-Riese eine klare langfristige Strategie fährt. Wer als Anleger darauf spekuliert, dass die besagte Rezession bei weitem nicht so heftig ausfällt, wie von manchen Experten prognostiziert, könnte die Siemens-Aktie angesichts der vergleichsweisen niedrigen Bewertung am Markt als langfristig lukratives Investment bewerten.
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