Eigentlich sollte sich die Nordex-Aktie angesichts der politischen Gesamtlage derzeit prächtig entwickeln. Erneuerbare Energien sind seit den Russland-Sanktionen und explodierenden Kosten fossiler Rohstoffe gefragt wie nie. Doch seit April beobachten wir beim Aktienkurs des Windturbinen-Herstellers aus Norddeutschland das genaue Gegenteil. Was läuft hier schief?
Katergefahr
Am Freitagmorgen setzte zwar eine kräftige Gegenbewegung ein, in deren Folge der Kurs bis 12.00 Uhr um rund 4 % zulegen konnte. Doch hier bereits von „Turnaround“ oder „Bodenbildung“ zu sprechen, wäre reichlich verfrüht. Solche Kursausschläge waren mehrfach in den vergangenen Wochen und Monaten zu beobachten. In der Regel folgte dann der nächste Abverkauf.
Die Investoren straften die Nordex-Aktie im April ab, als sich abzeichnete, dass das Unternehmen angesichts der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Gemengelage keine positive operative Marge erreichen würde. Das Margen-Thema belastet den Titel ohnehin schon seit Jahren und sorgt dafür, dass das Kursniveau von 30 Euro, das wir zuletzt 2016, immer wieder in weite Ferne rückt.
Prognoseanpassung bei Nordex
Am 24. Mai kam dann die offizielle Bestätigung aus der Konzernzentrale: Nordex muss seine Prognose für das Geschäftsjahr 2022 anpassen. Statt einem Umsatz von 5,4-6,0 Mrd. Euro und einer EBITDA-Marge im Bereich von 1,0-3,5 % erwartet das Management nur noch Einnahmen von 5,2-5,7 Mrd. Euro und eine operative Marge von -4 bis 0 %.
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Am Sonntagabend (26.6.) vermeldete Nordex darüber hinaus, eine Kapitalerhöhung in Höhe von 139,2 Mio. Euro durchzuführen. Das Geld kommt nicht vom freien Börsenmarkt, sondern vom Großaktionär Acciona. Der Schritt war notwendig, um „die Liquidität des Unternehmens zu erhöhen und die Bilanz zu stärken“. Das sind alles Begrifflichkeiten, bei denen bei Investoren automatisch die Alarmglocken schrillen. Die weiteren Kursverluste in dieser Woche – bis zum Freitag – können da kaum überraschen.
Zudem handelt es sich beileibe nicht um die erste Kapitalerhöhung. Das Windkraft-Unternehmen schreibt seit 2018 jedes Jahr Verluste (Ergebnis nach Steuern). Irgendwie müssen diese Einbußen in zwei- oder dreistelliger Millionenhöhe ja aufgefangen werden.
Insofern sind auch die neuen Aufträge, die im Juni hereinkamen, immer mit einem kritischen Auge zu sehen. Die Auftragsbücher waren bei Nordex in den vergangenen Jahren meist sehr gut gefüllt. Nach 2018 hat der Vorstand in diesem Bereich deutliche Fortschritte erreichen können. Aber wenn ich es nicht schaffe, mit meiner Arbeit Gewinne zu erwirtschaften, dann reißt – überspitzt formuliert – jedes Megawatt an Auftragsvolumen irgendwann ein noch größeres Loch in meine Kasse.
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Die neuen Nordex-Aufträge aus dem Juni im Überblick:
- Auftrag aus Serbien über 105 MW
- Mehrere Aufträge aus Kolumbien mit Gesamtvolumen von 369 MW
- Auftrag aus Polen über 63 MW
Was sagen die Analysten?
Goldman Sachs und Jefferies waren die beiden Analysehäuser, die sich zuletzt mit der Nordex-Aktie beschäftigt haben. Ajay Patel (Goldman Sachs) legte sogleich auch den Finger in die Wunde. Die Finanzierungskosten dürften für den Windturbinen-Produzenten angesichts der Zinsanhebungen steigen. Die bilanzielle Lage dürfte sich dadurch nochmals verschlechtern und die Herausforderungen für den Vorstand wachsen, das Unternehmen in den profitablen Bereich zu führen.
Dieses Detail sowie die angepasste Prognose und die Zahlen zum ersten Quartal veranlassten Ajay Patel dazu, sein Kursziel auf 13,70 Euro (von zuvor 15,00 Euro) zu senken. Bei seiner Empfehlung beließ er die Nordex-Aktie aber auf „Neutral“.
Constantin Hesse (Jefferies) äußerte sich im Hinblick auf die Kapitalerhöhung zwar überrascht, was den Zeitpunkt anging. Grundsätzlich sei damit aber bereits zu rechnen gewesen. Da das Unternehmen von der momentanen Liquidität noch nicht akut von Geldnöten geplagt gewesen sei, wertete er den Umfang der Maßnahme als eher positiv. Damit bliebe Nordex nun auf absehbare Zeit handlungsfähig. Insofern hielt er sein Kursziel von 16,00 Euro aufrecht und blieb bei seiner Einstufung „Buy“.
Fazit des Tages
Es steht außer Frage, dass sich die Nachfrage nach neuen oder modernisierten Windkraftanlagen in den nächsten Jahren nochmals beschleunigen wird. Der Krieg in der Ukraine mit all seinen Folgen zwingt die EU-Politiker dazu, die Energiewende zu forcieren. Doch sind die Auftraggeber auch dazu bereit, Nordex einen Preis für seine Anlagen zu zahlen, den das Unternehmen benötigt, um unterm Strich schwarze Zahlen zu schreiben? Oder kann der Konzern seinerseits das Geschäftsmodell so anpassen, dass man in Zukunft mit deutlich höheren Margen kalkulieren kann?
Beides sind derzeit noch unbeantwortete Fragen. Daher kann ich jeden Anleger verstehen, der sich sagt: Lieber erstmal abwarten, wann mehr Klarheit über die Beantwortung besagter Fragen herrscht. Bis dahin verfolge ich die Kursentwicklung lieber aus sicherer Entfernung.
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