Die Aktie von Delivery Hero musste seit Anfang des Jahres reichlich Federn lassen. Die Corona-Jahre 2020 und 2021 hatten Kursfantasien geweckt – die Aktie notierte rund ein Jahr lang über der 100-Euro-Marke – , die angesichts von Inflation, Krieg in der Ukraine und Rezessionsängsten nun von Anlegerseite in Frage gestellt wurden. Doch heute stellt sich die Situation an der Börse etwas freundlicher dar.
Kurspush am Mittwoch
Delivery Hero ist nicht das einzige Unternehmen aus der Branche, das an der Börse zuletzt unter die Räder geraten ist. Die Investoren flüchteten beispielsweise auch aus den Aktien der Konkurrenten Hellofresh und Just Eat Takeaway. Am heutigen Mittwoch konnten die drei besagten Titel jedoch am Morgen ein kräftiges Kursplus verzeichnen.
Ausschlaggebend für diese positive Entwicklung war ein Deal zwischen Amazon und Just Eat Takeaway. Prime-Kunden von Amazon sollen zukünftig kostenfrei bei Grubhub, der US-amerikanischen Tochter von Just Eat Takeway, bestellen können. Außerdem beteiligt sich Amazon an Grubhub und vermarktet deren Abo-Modell.
Übernahme von Glovo
Delivery Hero hatte selbst am Dienstag eine positive Unternehmensnachricht zu vermelden. Derzufolge ist die Übernahme von Glovo, einer spanischen Lieferapp, perfekt. Glovo ist nicht nur in Südeuropa stark vertreten, sondern auch auf den Märkten Osteuropa, Naher Osten und Afrika. Delivery Hero kann damit seine globale Präsenz auf 74 Ländern ausdehnen. Der potenzielle Kundenkreis, den der Konzern dadurch beliefern kann, erhöht sich auf 2,2 Mrd. Personen.
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Der genaue Kaufpreis steht allerdings noch nicht endgültig fest. Er hängt vom Aktienpreis zum Zeitpunkt des Closings ab. Delivery Hero hatte zu einem früheren Zeitpunkt eine mögliche Bandbreite zwischen 780 Mio. Euro und rund 1,15 Mrd. Euro angegeben. Die Glovo-Aktionäre erhalten jedoch kein Bargeld, sondern Aktien von Delivery Hero. Der Lieferdienst erwirbt dabei 94 % der Anteile an Glovo. Oscar Pierre und Sacha Michaud, die beiden Glovo-Gründer, bleiben dabei als Geschäftsführer der Tochter weiterhin an Bord.
Niklas Östberg, der Vorstandschef von Delivery Hero, kommentierte die Übernahme wie folgt: „Wir passen als Partner perfekt zusammen und wir freuen uns sehr darauf, Glovo in der Delivery-Hero-Familie willkommen zu heißen. Wir kennen, schätzen und vertrauen uns seit Jahren. Unsere Teams teilen dieselbe Vision und wir können immer noch viel voneinander lernen, indem wir Wissen austauschen und technologische sowie operative Synergien ausloten.“
Kritische Bewertung
Genau solche Übernahmen stellen nach Ansicht des Analysten Marcus Diebel (JPMorgan) auch die einzige Möglichkeit dar, den Kurs der Aktie kurzfristig wieder nach oben zu treiben. Denn die Kosten dürften sich für die Lieferdienste durch die Inflation sprunghaft erhöhen. Und es ist zu bezweifeln, dass Delivery Hero oder andere Wettbewerber diese Mehrkosten 1:1 an die Kunden weiterreichen können, ohne dabei an Umsatz bzw. Bestellungen zu verlieren.
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Deshalb bleibt der Experte zunächst für die Branche pessimistisch gestimmt und sieht für Delivery Hero ein vergleichsweise niedriges Kursziel von 31 Euro, was am Mittwoch (Stand 12.00 Uhr) rund 15 % unter dem aktuellen Kurswert lag. Nichtsdestotrotz stuft Diebel den Titel als „Neutral“ ein.
Für Goldman Sachs immer noch ein „Top Pick“
Der Analyst Rob Joyce (Goldman Sachs) schlug dieser Tage in eine ähnliche Kerbe und halbierte nahezu sein Kursziel für Delivery Hero auf 65 Euro von vormals 125 Euro. Auch er rückte die Themen Inflation und Rezession in den Mittelpunkt, die letztlich dazu führen werden, dass vielen Kunden weniger Geld zur Verfügung stehen wird, das sie ausgeben können. Dazu gesellen sich höhere Zinsen, welche die Finanzierung durch Fremdkapital verteuern.
Dennoch stuft Joyce die Delivery Hero-Aktie als „Top Pick“ und „Buy“ ein. Einerseits überrascht die Bewertung nicht. Denn sein Kursziel liegt aktuell rund 75 % über dem tatsächlichen Aktienwert. Andererseits stellt sich natürlich die Frage, warum er einen Titel aus einer augenscheinlich kriselnden Branche als „Top Pick“ bezeichnet. Der Goldman Sachs-Analyst ist der Meinung, Delivery Hero könne den Markt möglicherweise beim operativen Ergebnis noch positiv überraschen, und zwar eher als die Konkurrenz.
Fazit des Tages
Delivery Hero – ein Aktientitel mit Überraschungspotenzial? Ich glaube, da braucht es derzeit schon recht risikoaffine Anleger, um dieses Potenzial mal in größerem Stil auszutesten. Die meisten Investoren werden eher an der Seitenlinie verharren oder nur dann investieren, wenn sie mit der Transaktion langfristige Ziele verfolgen.
Denn Delivery Hero ist grundsätzlich gut genug aufgestellt, um auch die aktuelle Marktsituation weitestgehend unbeschadet zu überstehen. Die Übernahme von Glovo verspricht darüber hinaus weiteres Wachstum für die kommenden Jahre. Der Aktienkurs selbst scheint zudem endlich einen Boden gefunden zu haben, in dem die kommenden Krisenzeiten bereits eingepreist sind. Unter langfristigen Gesichtspunkten könnte ein Einstieg auf dem aktuellen Niveau also durchaus Sinn ergeben.
UPDATE 17.30 Uhr (6.7.22)
Wie die Nachrichtenagentur Reuters exklusiv vermeldete, haben Mitarbeiter von EU-Kartellbehörden sowohl Büros von Delivery Hero als auch Glovo durchsucht. Die Beamten gingen dabei dem Verdacht der Kartellbildung nach. Noch handele es sich aber um reine Verdachtmomente, wie Delivery Hero in einer ersten Stellungnahme betonte. Ein tatsächlicher Verstoß gegen die betreffenden gesetzlichen Bestimmungen sei bis dato noch nicht festgestellt worden. Die Durchsuchungen fanden laut der Unternehmen bereits in der vergangenen Woche statt.
Angesichts der Meldung sackte der Kurs der Delivery Hero-Aktie am Mittwochnachmittag mit rund -4% deutlich ab. Die Kursgewinne am Morgen waren damit wieder Makulatur.
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