Von Großbritannien über China bis Australien haben Behörden in den letzten Jahren damit begonnen, sich die großen Digitalkonzerne vorzuknöpfen. Auch das deutsche Bundeskartellamt kann seit kurzem „Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ bestimmte Vorschriften machen.
Eine globale Allianz für funktionierenden Wettbewerb ist es spätestens, seit auch US-Präsident Joe Biden die Jagd auf die Monopolisten eröffnet hat. In führende Positionen des Justizministeriums (Merrick Garland), der Federal Trade Commission (Lina Khan) und des Nationalen Wirtschaftsrat (Tim Wu) berief er nun bekannte Gegner der Tech-Riesen.
Sie alle sind Vertreter einer neuen Denkschule, wonach die Kartellgesetze breiter interpretiert werden müssen. Statt nur Verbraucherpreise niedrig zu halten, prüfen sie auch, inwieweit die Konzentration von Marktmacht, Wettbewerb, Innovation und Datenschutz einschränkt. Abfällig bezeichnen Konservative die Bewegung als „Hipster Antitrust“. Biden hat den Kartell-Hipstern jetzt eine starke Stimme in der Regierung gegeben. Die Personalentscheidungen senden klare Signale an Google, Facebook und Co., dass es in der Branche bald noch ungemütlicher wird.
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So beobachten die Digitalkonzerne derzeit gebannt die Debatte im US-Senat um ein kartellpolitisches Reformgesetz. In vielerlei Hinsicht soll es Maßnahmen fördern, mit denen Großkonzerne für ihre wettbewerbsverzerrenden Praktiken verantwortlich gemacht werden können.
US-Kartellrecht seit den Siebzigern ausgehöhlt
Auf Ebene der Bundesstaaten, wo sich Gesetzesinitiativen oft schneller umsetzen lassen, ist die Trendumkehr in der Wettbewerbspolitik bereits voll im Gange. So führte Maryland kürzlich eine Art Digital-Steuer wie in Frankreich oder Österreich ein. In Arizona hat ein Gesetz, das auf die App-Store-Gebühren von Apple und Google abzielt, unlängst die erste parlamentarische Hürde genommen.
Bei den Datenschutz-Regeln hat sich Virginia zuletzt an Kalifornien orientiert, das wiederum die europäische Grundverordnung zum Vorbild hatte. Andere Bundesstaaten wollen jetzt nachziehen und diskutieren ebenfalls Gesetze, die den Firmen mit großer Marktmacht das Leben schwer machen.
Nicht nur Technologiekonzerne sind jetzt betroffen: Viele US-Märkte – von drahtloser Kommunikation bis Fluglinien – haben sich in den letzten Jahren stark konzentriert. Seit den Siebzigern wurde das Kartellrecht in den Vereinigten Staaten immer weiter ausgehöhlt – im Gegensatz zu den europäischen Märkten, die seitdem immer wettbewerbsfähiger wurden.
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Auch auf den US-Finanzmärkten sammelte sich bei einigen wenigen Großinvestoren immense wirtschaftliche Macht, die die Markteffizienz untergräbt. In seinem Buch „The Great Reversal“ zeigt der New Yorker Ökonom Thomas Philippon, wie die immer stärkere Marktkonzentration und das wettbewerbsfeindliche Verhalten höhere Preise, niedrigere Löhne, schwächeres Wachstum und mehr Ungleichheit und Arbeitslosigkeit zur Folge hatten.
Google und Co. ohne Freunde in Washington
Im US-Kongress wird gewiss mit Widerstand gegen das neue bundesweite Kartellgesetz zu rechnen sein, da die Republikaner Eingriffe von Regulierungsbehörden verabscheuen. Sie streben in der Regel jedoch auch nach wirtschaftlichem Wettbewerb. Jahrzehntelang gelang es konservativ ausgerichteten Ökonomen, den Widerspruch aufzulösen, indem sie behaupteten, dass sich die Märkte selbst regulieren.
So konnten sich die Digital-Riesen lange Zeit darauf verlassen, dass der fehlende Konsens der beiden US-Parteien den Eingriff in ihr Geschäft verhindert. Republikaner beginnen jedoch nun, ihre traditionelle Opposition gegen kartellrechtliche Maßnahmen zu überdenken. Das gute Verhältnis zwischen dem Silicon Valley und Washington, wie es Barack Obama einst pflegte, ist schon seit den Trump-Jahren nicht mehr intakt. Vergangenes Jahr eskalierte die Lage, als die FTC und das Justizministerium Google und Facebook öffentlichkeitswirksam in die Mangel nahmen, während Twitter und Facebook dem Ex-Präsidenten die Konten sperrten.
In Washington hat die Digitalbranche daher kaum noch Freunde. Demokraten wollen gegen die Verbreitung von Falschinformationen vorgehen, Republikaner gegen die Zensur konservativer Stimmen. Beide wollen, dass Social-Media-Kanäle für die Inhalte ihrer Nutzer verantwortlich gemacht werden können.
Die öffentliche Meinung als Zünglein an der Waage
Die Gerichte in den USA sind jedoch immer noch mehrheitlich konservativ besetzt. Über die Jahre hat der Supreme Court beim Kartellrecht verfahrenstechnische Hindernisse eingeführt und gegenüber untergeordneten Gerichten eine Misstrauenskultur entwickelt. Das Weiße Haus und der Kongress müssen Jahrzehnte wettbewerbsrechtlicher Vernachlässigung umkehren.
Facebook, Google, Apple und Amazon sind indes zu Monopolisten herangewachsen, wie wir sie zuletzt vor 100 Jahren in der Zeit der Ölbarone und Eisenbahn-Tycoons gesehen haben. Damals wurden die ersten Antikartellgesetze mithilfe einer monopolfeindlichen Basisbewegung verabschiedet. Viele US-Bürger verabscheuten Standard Oil und Union Pacific Railroad, Karikaturisten stellten die Großunternehmen als geldgierige Kraken dar.
Heute gehören Apple und Co. jedoch zu den am meisten bewunderten Unternehmen überhaupt. Um die Produkte und Services herrscht zuweilen ein regelrechter Kult. Menschen wollen besonders in Pandemie-Zeiten nicht darauf verzichten, bei Amazon einzukaufen oder bei Facebook Kontakte zu pflegen. Junge Leute sind häufig süchtig nach Netflix, Youtube und ihrem Smartphone.
Die Bekämpfung von Monopolen wird in der US-Politik weiter an Schwung aufnehmen. Die öffentliche Wahrnehmung der Digitalkonzerne nachhaltig zu ändern, wird für die Biden-Regierung jedoch ein hartes Stück Arbeit.
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